Hochsensibel oder Asperger Autist?

Eine der beiden meist gestellten Fragen, wenn es um das Thema hochsensible Kinder geht, ist die nach der Abgrenzung zwischen dem Asperger Autismus und der Hochsensibilität. So häufig sie ist, so schwierig ist sie zu beantworten. Grundsätzlich ist ein Vergleich deshalb schwer zu ziehen, weil es sich beim Einen (Autismus) um eine medizinisch anerkannte Störung aus dem Autismus-Spektrum (ICD 10) handelt, während das Andere – die  Hochsensibilität ein Wesenszug, eine Veranlagung ist. Dazu kommt, dass es durchaus hochsensible Asperger Autisten oder autistische Hochsensible geben kann.

Mein Bestreben ist jedoch nicht, für noch mehr Verwirrung zu sorgen, sondern etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Aus diesem Grund hier nun die wesentlichen Unterschiede und
Gemeinsamkeiten der beiden Schlagworte:

Betroffene:

Beide Themen sind genetisch bedingt. Es gibt Theorien, die auf die Möglichkeiten erworbener Hochsensibilität, beispielsweise durch Traumata, abzielen, sowie verschiedene Meinungen zu Risikofaktoren für Asperger Autismus – allesamt sind sie jedoch nicht wissenschaftlich nachgewiesen und zum Teil durchaus polarisierend. Der genetische Ursprung ist jedoch eine Gemeinsamkeit. Während es im Bereich der Hochsensibilität keine geschlechtsspezifischen Auffälligkeiten gibt, sind vier Mal häufiger Jungen vom Asperger Autismus betroffen, als Mädchen.

Häufigkeit:

Das Auftreten von Asperger Autismus variiert je nach Quelle von 0,25 bis zu 2 Prozent. Im Vergleich dazu, wird von einem Wert von 20 Prozent hochsensibler Menschen ausgegangen.

Diagnose:

Es gibt verschiedene Tests, die zu einer Diagnose nach ICD 10 führen können, ob ein Kind das Asperger Syndrom aufzeigt. Hochsensibilität jedoch ist keine Erkrankung oder Störung, sodass die  Worte „Diagnose und Therapie“ an dieser Stelle schlicht falsch wären. Ob ein Kind hochsensibel ist, lässt sich durch Beobachtung, Tests und Literatur bestimmen.

Auffällige Gemeinsamkeiten:

Auffälligkeiten im Sozialverhalten (die Herr Dr. Hans Asperger aufführte) können in beiden Bereich auftreten. Das Schlagwort „nicht altersgemäße Gesprächsabläufe“ sorgt hier für Verwirrung. Während Asperger-Autisten durch pedantischen Sprachgebrauch, „hochtrabende“ Formulierungsweisen, die gerne als geschwollen, fortgeschritten oder übertrieben aufgefasst werden können, hervorstechen, ist der nicht altersgemäße Faktor bei den hochsensiblen Kindern eher inhaltlich zu verstehen.

Kurz: In Wortschatz und Grammatik sind die Asperger Autisten ihren Altersgenossen voraus, thematisch/inhaltlich überholen oft die Superfühlkraft-Kinder.

Das Thema „kreisende Gedanken“ ist eine weitere Gemeinsamkeit. Zumindest auf den ersten Blick. Nicht zu vergessen ist hier der Störungsfaktor. Autistisch zwanghaftes Gedankenkreisen ist in seiner Schwere anders zu bewerten, als das vom-Einen-ins-Andere-kommen der Gedanken eines grübelnden, hochsensiblen Kindes.

Aufgrund ihrer Besonderheiten kann es bei beiden Kindern – dem autistischen und dem hochsensiblen – zu weniger Kontakten zu den Mitmenschen kommen, als bei den Altersgenossen.

Dies ist unter anderem den weiteren Gemeinsamkeiten geschuldet: Beide können nur schwer oberflächliche Gespräche führen. Aus verschiedenen Gründen – die weiter unten bei den Unterschieden aufgeführt werden. Sensuelle Übersensibilität/-empfindlichkeit kann eine Gemeinsamkeit sein, der Blick fürs Detail, sowie bildhaftes Denken zählen auch dazu.

Ganz besonders auffallend ist, dass sowohl das Asperger-autistische Kind, als auch das hochsensible sehr ritualbedürftig sind, Veränderungen, bzw. Abweichungen vom vertrauten Ablauf nur mühsam wegstecken und sich mit Entscheidungen sehr schwer tun.

Schnell wird – berechtigterweise – auch an Asperger Autismus gedacht, wenn ein Kind starke sensorische Abneigungen, beispielsweise gegen bestimmte Geschmacksrichtungen, Konsistenzen, Geräusche, Gerüche oder Berührungen zeigt.

Sind die Eltern nun unsicher, ob ihr Kind autistische Züge hat, oder „nur“ hochsensibel ist, so bieten sich frei zugängliche Tests und Stichwortsammlungen breit gefächert in der Literatur und dem Internet an. Im Zweifelsfall ist jedoch die Ausschlussdiagnose eines Psychologen/Psychiaters die sicherste Variante. Hier ist Einfühlungsvermögen dem Sprössling gegenüber sehr wichtig, da dieser eventuell schon durch sein Anders-sein-Gefühl vorbelastet ist und nun die Sorge um eine Erkrankung dazu kommen könnte.

Prägnante Unterschiede zwischen Asperger Autismus und Hochsensibilität

Asperger Autisten erzählen häufig von dem Gefühl „auf dem falschen Planeten“ zu leben. Diesen Eindruck haben auch hochsensible Kinder und sicher auch jeder normal sensible Mensch zeitweise in seinem Leben – beim Autisten ist dieses Gefühl jedoch stärker und vor allen Dingen anhaltend.

Wenn auch nicht jeder hochsensible Mensch zwangsläufig ein Empath ist, so ist er jedoch mindestens durschnittlich bis hin zu hoch-empathisch. Ein prägnanter Unterschied zum Asperger Autisten, der über kaum ausgebildete empathische Kompetenzen verfügt. Dies und die großen Schwierigkeiten „zwischen den Zeilen zu lesen“, non-verbal zu kommunizieren sind mitunter die größten Unterschiede.

Während hochsensible Kinder meist auch die unausgesprochenen Worte der Kommunikation empfangen, ungeschriebene Regeln und Abläufe leicht erkennen, nehmen autistische Kinder gesagtes wörtlich und reagieren verwirrt oder überfordert, wenn nur bildlich gesprochen, ironisch, oder in Metaphern gesprochen wurde.

Die vermeintliche Gemeinsamkeit, dass beide Kinder nur schwer in Gruppen arbeiten können, lässt sich insofern differenzieren, als dass Asperger Kinder dieses von sich aus ablehnen, während hochsensible Kinder aufgrund der verstärkten Reizverarbeitung länger Zeit brauchen sich in die Gruppe einzufügen – dies aber gerne tun möchten. Für Außenstehende entsteht hier der Eindruck, das autistische Kind wäre egozentrisch, das hochsensible „würde sich anstellen“. Erschwerend kommt hinzu, dass – wenn auch sprachlich sehr ausgereift – Asperger-autistische Kinder über Dinge reden, die sie selbst interessieren, ohne auf die Interessen des Zuhörers einzugehen.

Ein Zitat von Dr. Asperger:

„(…) die Sprache wirkt auch auf den naiven Zuhörer unnatürlich, wie eine Karikatur, zu Spott herausfordernd. Und noch eins: sie richtet sich nicht an einen Angesprochenen, sondern ist gleichsam in den leeren Raum hineingeredet, so wie meist auch der Blick nicht den Partner trifft und festhält, sondern an ihm vorbei geht.“

Asperger Autisten wird häufig eine motorische Ungeschicklichkeit zugeschrieben. Diese zählt jedoch nicht als Diagnosemerkmal.

Außerdem treten bei diesen Kindern häufiger sogenannte Ticks auf – immer wieder kehrende, stereotype motorische Handlungen (Schnippen mit den Fingern, Hände-drehen, o. ä.)

Es ist und bleibt nicht leicht Grenzen zu ziehen. Abschließend möchte ich noch einmal hervorheben, was ich eingangs schon erwähnt habe: nämlich dass hier eine Störung mit einem Wesenszug verglichen wird. Im Zweifelsfall sollte ärztlicher Rat eingeholt werden.

Hier zur Information die Diagnosekriterien des Asperger Syndroms nach ICD-10

(Quelle: autismus-kultur.de):

Asperger-Syndrom: Diagnosekriterien im ICD-10

F84.5 Asperger-Syndrom

Es existiert keine klinisch bedeutsame allgemeine Verzögerung in der gesprochenen oder rezeptiven Sprache oder in der kognitiven Entwicklung. Die Diagnose verlangt, dass bis zum Alter von zwei Jahren oder früher einzelne Worte gesprochen werden können, und dass bis zum Alter von drei Jahren oder früher kommunikative Redewendungen benutzt werden. Fähigkeiten zur Selbsthilfe, anpassungsfähiges Verhalten und Wissbegierde in Bezug auf das Umfeld sollten um das dritte Lebensjahr herum auf einem mit der normalen intellektuellen Entwicklung übereinstimmenden Niveau liegen. Dennoch können motorische Meilensteine etwas verzögert sein, und die motorische Unbeholfenheit ist die Regel (obwohl kein notwendiges diagnostisches Merkmal). Es bestehen häufig einzelne spezielle Fertigkeiten, die sich meist auf abnorme Beschäftigung beziehen, aber sie sind für die Diagnose nicht relevant.

  1. Qualitative Abnormitäten in der wechselseitigen sozialen Interaktion zeigen sich in mindestens zwei der folgenden Merkmale: 
    1. Unvermögen, einen angemessenen Blickkontakt herzustellen und aufrechtzuerhalten, Mängel in Mimik und Körperhaltung, Mängel in der Gestik zur Regulierung der sozialen Interaktion;
    2. Unvermögen (in einer dem geistigen Alter entsprechenden Weise oder trotz ausreichender Gelegenheiten), Beziehungen zu Gleichaltrigen zu entwickeln, die das Teilen von Interessen, Aktivitäten und Emotionen betreffen;
    3. Mangel an sozio-emotionaler Gegenseitigkeit, die sich in einer unzulänglichen oder von der Norm abweichenden Reaktion auf die Emotionen anderer Menschen zeigt; oder der Mangel an Verhaltensmodulation gemäß dem sozialen Kontext; oder eine geringe Integration der sozialen, emotionalen und kommunikativen Verhaltensweisen;
    4. fehlender spontaner Wunsch, mit anderen Menschen Vergnügen, Interessen und Errungenschaften zu teilen (z.B. mangelndes Interesse, anderen Menschen Gegenstände, die dem Betroffenen wichtig sind, herzubringen oder darauf hinzuweisen).
  2. Der Betroffene legt ein ungewöhnlich starkes, sehr spezielles Interesse oder begrenzte, repetitive und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten an den Tag, die sich in mindestens einem der folgenden Bereiche manifestieren:
    1. einer konzentrierten Beschäftigung mit stereotypen und begrenzten Interessensmustern, die in Inhalt oder Gebiet abnorm sind; oder eine oder mehrere Interessen, die in ihrer Intensität und ihrer speziellen Natur, aber nicht in Inhalt oder Gebiet begrenzt sind;
    2. offenkundige zwanghafte Befolgung spezifischer, nonfunktionaler Routinen oder Rituale;
    3. stereotype und repetitive motorische Manierismen, die entweder das Flattern oder Drehen mit Händen oder Fingern oder komplexe Ganzkörperbewegungen mit einschließen;
    4. Beschäftigungen mit Teil-Objekten oder nonfunktionalen Elementen oder Spielmaterialien (wie den dazugehörigen Farben, dem Gefühl, das die Oberfläche vermittelt, oder dem Geräusch/der Vibration, das sie hervorrufen). Doch kommt es seltener vor, daß diese Merkmale motorische Manierismen oder Beschäftigungen mit Teil-Objekten oder nonfunktionalen Elementen der Spielmaterialien einschließen.

Die Störung ist den anderen Varianten der tiefgreifenden Entwicklungsstörung nicht zuzuschreiben, wie: einfache Schizophrenie, schizo-typische Störung, Zwangsstörung, anankastische Persönlichkeitsstörung, reaktive und enthemmte Bindungsstörungen der Kindheit. 

Hilfreiche Links zum Thema Autismus/Asperger Autismus:

https://de.wikipedia.org/wiki/Asperger-Syndrom#H.C3.A4ufigkeit

www.autismus-kultur.de

http://www.asperger-kinder.de/index.htm