Kein Mitleid für hochsensible Kinder!

Erschienen im Onlinemagazin Huffington Post

Kein Mitleid für hochsensible Kinder!

„Hochsensible Kinder haben es schwer.“ „Wir leiden auch unter Hochsensibilität.“ „Er hat’s wegen seiner Hochsensibilität nicht leicht.“ Solche und viele ähnliche Sätze sind erschreckend oft vertreten in Gruppen, Foren, Artikeln und Gesprächen. Das macht mich sehr betroffen. Denn diese Kinder sind nicht krank.

Ja – so ein Superfühlkrafheldenleben hat seine Tücken. Doch die hat jede andere Kindheit auch. Es mögen andere sein, doch ganz ohne Stolpersteine wird keiner erwachsen. Sicherlich kommen Eltern immer wieder in leidvolle Situationen, das liegt in der Sache der Natur.

Doch Mitleid ist Gift.

Warum? Es vermittelt dem Kind „Du bist arm dran. Du bist schwach und bedauernswert.“ Somit ist Mitleid absolut destruktiv. Was möchten wir erreichen, was möchten wir unseren Kinder vermitteln? Doch eigentlich das Gegenteil. Innere Stärke wächst nur schwierig aus einer gelebten Opferrolle.

„Mein armes Kind findet nur wenige Freunde.“ Dies klingt nach Mitleid. „Meine Tochter ist wählerisch, mit wem sie sich anfreundet, sie merkt recht schnell, wenn die Wellenlänge nicht stimmt.“

„Mein hochsensibles Kind zerbricht sich über so viele Dinge den Kopf.“ Wie wäre es mit „Mein Sohn ist schon in seinem jungen Alter in der Lage, mit komplexen Gedankengängen zu jonglieren und sich ein Bild vom Weltgeschehen zu machen.“

„Sie kann nicht mit zum Feriencamp um eine Ferienwoche lang zu zelten, sie ist hochsensibel.“ Was wie eine Entschuldigung klingt, ist doch eigentlich eine feine Sache: „Sie kann schon jetzt abschätzen, dass ein so großer Ausflug nicht ihrem Naturell entspricht und sie ist in der Lage, diese Ablehnung für sich auszusprechen – entgegen dem „Gruppenzwang“.

Wenn wir, die Eltern solcher hochsensibler Kinder, einmal ganz ehrlich zu uns selbst sind, so können wir bestimmt auch viele Situationen ins Gedächtnis rufen, in denen wir ein „Leid“ hineininterpretiert haben, wo gar keine war. Während die Mutter es vielleicht als schrecklich empfunden hat, nicht in der Clique der beliebtesten Klassenmädels zu sein, muss dies doch für die Tochter nicht dasselbe bedeuten. Schlimmer noch: Entsteht dem Kind nicht womöglich manchmal ein unbewusster Druck dadurch, dass es eben nicht jene Bedürfnisse hat, die in es projiziert werden?

Unsere kleinen Helden sind wunderbare Menschen. Wir können die Welt um sie herum nicht zurecht biegen. Doch wenn wir ihre Sensibilität mit einem selbstverständlichen Optimismus betrachten und ihnen das Recht zugestehen, sich ihrer Natur gemäß zu entwickeln, halten wir ihnen viel Leid vom Laib. Gehen wir auf die vermeintlichen Grübeleien ein, nehmen sie ernst und besprechen sie, werden es tiefgreifende Gespräche. Wird der Grübelbub jedoch mit einem mitleidigen Blick bedacht und einem „Ach, denk doch nicht so viel nach“ kommt zu all dem zu verarbeitenden Gedankengut noch der Zweifel an sich selbst hinzu.

Selbstverständlich gibt es auch das Gegenteil. Die Glorifizierung des eigenen Kindes. Die Ausstellung eines „Freifahrtscheins“ aufgrund dessen Sensibilität. Auch dieses Extrem ist alles andere als zielführend und führt zu vielen Komplikationen. Doch dazu mehr in einem anderen Beitrag.

Noch einmal zusammenfassend: Fühlkraft-Kinder bringen ein Geschenk mit. Sie brauchen unser Mitleid nicht. Manchmal brauchen sie unsere Hilfe, Werkzeuge, Assistenz, so wie jedes andere Kind in seinen jeweiligen Bereichen auch. Doch gerade aufgrund ihres Wesens spüren sie schneller, als wir denken, wenn wir ihnen mit Mitleid begegnen. Und ihnen dadurch ein Defizit vermitteln, dass sie nicht haben. Lassen sie uns nie vergessen, dass nicht nur die scheinbar negativen Gefühle, Eindrücke, Einflüsse, Reize usw. schwächer gefiltert werden – nein, auch all die positiven Seiten, die so ein Menschenleben mit sich bringt.

Ist das nicht großartig?