Was wäre Till ohne Harry, Hochsensibler ohne Normalsensibler…

Erschienen im Onlinemagazin Huffington Post 12/2015

Warum Till und Harry sich brauchen… 

Till ist hochsensibel. Er macht sich viele Gedanken und hadert manchmal mit all den Eindrücken, die so ein Menschenleben mit sich bringen. Selten tut er Dinge unüberlegt, manchmal schmerzt ihm das Herz, da er sich viel darauf lädt. Er mag es nicht laut und wild, am wohlsten fühlt er sich in seinem gewohnten Umfeld. Gelegentlich erscheinen ihm die anderen Menschen fremd. Anders. Wie zum Beispiel Harry. Von Harry ist er fasziniert. Mal fühlt er sich durch ihn gestresst, ein andermal wäre er gerne wie er.

Harry ist das, was man normal sensibel nennt. Er ist nett, ehrlich und mittendrin im Leben. Herausforderungen findet er attraktiv bis anstrengend. Er versucht sich daran, mal scheitert er, mal nicht. Er genießt seinen Freundeskreis, mal geht er die Dinge überlegt an, mal spontan. Fällt er hin, dann steht er wieder auf. Den Till nimmt er wahr. Gelegentlich ist dieser ihm nicht geheuer. Ein merkwürdiger Typ. Doch nicht selten findet er ihn auch beeindruckend. Denn er scheint oft, mit seinen Gedanken den Nagel auf dem Kopf zu treffen. 

Till und Harry sind wichtig. Sie wissen es zwar nicht immer, doch sie brauchen einander.

Warum jeder Till auch einen Harry braucht? Darum:

Harry fordert heraus.

Der Mensch braucht Herausforderungen, so auch Till. So unbequem und stressreich es ihm auch manchmal erscheint, doch komplett ohne Beanspruchungen gibt es keine Entwicklung, kein Vorankommen. Nur, wer sich aus der eigenen Komfort-Zone wagt, kann das Leben auch tatsächlich LEBEN. Oft ist ein Harry eben der Beginn, bzw. das Ende der persönlichen Komfort-Zone. Ohne ihn würde Tills Komfortzone nicht größer werden können.

Harry lehrt Toleranz.

In einer Welt, in der aus dem eigenen Blickwinkel betrachtet so viele Menschen so anders ticken, ist das Erlernen und das Leben von Toleranz eine wesentliche Lektion. Auch, wenn Till oft meint, dass er die vermeintliche Unsensibilität der Harrys nur schwer verkraftet, so bleibt ihnen letztlich nichts anderes übrig, als sich dafür zu entscheiden, daran zu wachsen. Toleranz kann man üben, und wenn man dies erst geschafft hat, bleibt genügend Energie, die eigene Sensibilität gewinnbringend in die Gesellschaft einzubringen und vorzuleben. Wenn Till akzeptiert und anerkennt, dass Harry anders tickt, als er, andere Qualitäten mitbringt, dann kann er sein Freund sein und sie können gemeinsam praktisch ein Dreamteam bilden.

Harrys sind die „Macher“.

Nicht, dass ich jetzt pauschal behaupten möchte, dass es sich bei Menschen wie Till nur um „Denker“ dreht. Doch tendenziell sind es eher die Leute wie Harry, die es wagen, neue Wege zu beschreiten, beherzt die Dinge in die Hand zu nehmen und das laute Wort ergreifen, wenn es nötig ist. Was wäre der Weise ohne den König, der Berater ohne den Anführer, der Wissenschaftler ohne den Konzernchef? Wie ginge es weiter, ohne Harry, der es wagt, die Risiken auf sich zu nehmen und die von Till entwickelten Pläne zu verwirklichen?

Harry hat einen anderen Blickwinkel.

Manchmal erscheint ein nüchterner Blickwinkel, eine objektive Betrachtung geradezu weltrettend. Während sich Till und Tina, Eltern eines Superfühlkrafthelden blutig und schwitzig grübeln, wie sie mit dem aktuellen Problem des Schützlings umgehen sollen, ist es manchmal einfach ein liebevoller Schulterklopfer des normalsensiblen Opas Harry, der die Welt wieder in die Bahnen lenkt.

Es gibt kein Schwarz und Weiß.

Kein hochsensibler Mensch ist in allen Bereichen gleich empfindsam. Ebenso wenig, wie die sogenannten Normalsensiblen. Sensibilität umfasst unheimlich viele Bereiche. Vom Empathie-Faktor über die taktile, olfaktorische, akustische bishin zur optischen Komponente. Somit gilt auch in dieser Hinsicht das Prinzip der Ergänzung. Ohne Yin kein Yan. Jeder Mensch bringt Qualitäten mit sich, die im Gesamten die Gesellschaft vervollständigen. 

Und so gibt es auch keinen 100 prozentigen Till, wie es auch keinen 100 prozentigen Harry gibt. Da wären noch Tarry, Tirry, Hill, … 😉 

Hochsensibilität bedeutet weder Mehr- noch Minderwert. Und ebenso verhält es sich mit Normalsensibilität. Die Welt wäre kein arm dran, gäbe es nur die einen oder die anderen. Toleranz und Wertschätzung sind die Schlüssel zum harmonischen Miteinander. Und auch, wenn dies in diesem Artikel so geschehen ist, wird es dem Thema nicht gerecht, die Menschen in zwei Sensibilitäts-Rubriken aufzuteilen. Es gibt eine Vielzahl an Zwischentönen, die Differenzierung in „Hochsensibel“ und „Normalsensibel“ diente mir hier nur der Darstellung.