Die Mischung macht’s… Hochsensibilität im Familiensystem

Erschienen im Onlinemagazin Huffington Post
01/07/2016  | Aktualisiert 02/07/2017 07:12 CEST

Die Mischung macht’s… Hochsensibilität im Familiensystem

Egal, wie viele Ratgeber und Artikel zur Erziehung hochsensibler Kinder wir lesen – das wahre Leben bleibt stets komplett individuell. Immerhin ist das Kind ein Teil des Systems, des Familiensystems. Und dieses besteht aus Individuen, was eine unzählige Vielfalt an möglichen Zusammenstellungen bedeutet, von denen jede seine eigenen Gesichtspunkte mit sich bringt.

Um auf alle einzugehen würde hier der Platz nicht reichen. Ebenso kann keine Beschreibung jedem Grad der Sensibilität gerecht werden. Schließlich gibt es nicht DIE drei Kategorieren HOCHsensibel, NORMALsensibel, WENIGsensibel. Doch im Groben sind folgende „Schubladen“ nennenswert:

Kind hochsensibel – Mutter hochsensibel – Vater normal sensibel

Der Vorteil an dieser Konstellation ist die Tatsache dass auch heutzutage nicht selten die Mutter den Part der Kindererziehung dominiert und (zeitlich) mehr Zuhause ist. Somit ist sie im besten Fall in der Lage den Nachwuchs bedarfsorientiert zu unterstützen.

Der normal sensible Vater kann hier der „Felsen“ sein, der motivierend und begleitend auch gelegentlich die ggf. zögerlichen Schritte „nach draußen“ anstupst. (Näheres in meinem Artikel „Warum jeder Till einen Harry braucht“)

Die Gefahr dieser Konstellation könnte eine „Verbrüderung“ gegen den Vater darstellen. „Du verstehst unser Kind halt nicht!“ Ist das Kind dann auch noch ein Junge, dann könnten die Erwartungen des Familienvaters an den männlichen Stammhalter dann ein Konfliktpotential darstellen, wenn eben der zartbesaitete Junge diese nicht erfüllt. Dieser spürt die Enttäuschung des Papas und leidet. Mehr dazu auch im Artikel über hochsensible Jungs: Die Superhelden der anderen Art.)

Kind hochsensibel – Vater hochsensibel – Mutter normal sensibel

Der Vorteil in dieser Variation ist es, dass der Sohn, wenn es denn einer ist, im Idealfall vorgelebt bekommt, wie ein hochsensibler Mann sein Wesen positiv für sich einsetzt und seine Geschlechterrolle ausfüllt, ohne seine Sensitivität zu leugnen.

Auch eine hochsensible Tochter profitiert von einem Superfühlkraftvater und einer normal sensiblen Mutter. Wie schon in der ersten Familienkonstellation, weise ich auch an dieser Stelle gerne auf meinen Artikel „Warum jeder Till einen Harry braucht“ hin, in welchem ich erläutere, inwiefern Menschen jeglicher Sensibilität wichtig füreinander sind.

Die Gefahr in dieser Muster-Familie könnte hier in der etwaigen Verschiebung der starken-Schulter-Rolle liegen. So klischee-behaftet dies nun klingen mag, lässt es sich dennoch nicht leugnen, dass tendenziell eher vom Männer-Part der Familie erwartet wird, eben jene unerschütterlich nach außen hin zu vertreten.

Kind hochsensibel – Mutter hochsensibel – Vater hochsensibel

Die Vorzüge dieser Familie liegen auf der Hand. Gesetzt dem Fall, dass die Eltern ihre Sensibilität wertschätzen und als positiv erleben, haben sie die Möglichkeit sich vollstens in ihren Sprössling hineinzuversetzen und die Welt ein Stück weit mit seinen Augen zu sehen.

Wichtig (egal bei welchem Fallbeispiel – hier jedoch besonders) ist die Kenntnis des Begriffes der „Überidentifikation“ und eben die Vermeidung derselben. Das Kind ist und bleibt ein eigenes Wesen und eben nicht komplett durchschaubar/durchfühlbar. Da hochsensible Eltern sicherlich schon eigene schmerzvolle Erfahrungen in ihrem Leben gemacht haben, könnten sie Gefahr laufen, das Kind zu sehr vor solchen schützen zu wollen.

Kind hochsensibel – Eltern normal sensibel

Auch dies kommt vor. Selbst bei der Annahme, dass es sich bei der Hochsensibilität um eine vererbte Wesensart handelt, können Generationen übersprungen werden.

Als Superfühlkraftheld mit normal sensiblen Eltern erfährt ein junger Mensch gleich von Anfang an, wie der größere Teil der Menschheit auf die Empfindsamkeit bezogen gestrickt ist. (Selbstverständlich gibt es hier kein schwarz und weiß sondern unendlich viele Nuancen, doch ich versuche bildlich zu sprechen). Liebevoll, doch manchmal auch mit Unverständnis hinsichtlich der komplexen Gedanken- und Gefühlswelten bereiten diese Eltern ihren Schützling auf das Leben vor.

Sollten diese jedoch keines oder wenig Verständnis für die feinen Antennen ihres Kindes aufbringen können oder wollen, so droht hier die Gefahr der konstanten Überforderung im schlimmsten Fall verbunden mit einem verinnerlichten Minderwertigkeitskomplex.

Neben den oben genannten, gibt es selbstverständlich noch unheimlich viele weitere Familiensysteme – von homosexuellen Paaren über religiöse Gesichtspunkte bis hin zu Patchwork-Scheidungsfamilien und verwaisten Kindern. Letztlich läuft jedoch alles auf den gleichen Konsens hinaus:

Die „Minderheit“ zuhause darf auf keinen Fall als „schwächer“ oder eben minderwertiger betrachtet oder behandelt werden. Die Gemeinsamkeit der Hochsensibilität sollte als Vorteil, als Instrument zum „Hindurchdringen“ betrachtet werden, jedoch nicht als Waffe im Sinne einer „Verbündung“ missbraucht werden, da dies zwangsläufig zu unguten Entwicklungen führt – von denen wiederum keiner profitiert, auch wenn der Wille noch so gut war.

Jede Familie ist ein System aus mehreren Mitgliedern. Und jedes davon bringt seinen Charakter, sein Wesen, seine Sensibilität mit sich. Liebe, Wille, Respekt und Wertschätzung ermöglichen allen erdenklichen Konstellationen eine gesunde Entwicklung.

Ein Baggerfahrer kann mit einer Anwältin eine tolle, harmonische Familie gründen, eine Sportskanone mit einem Supersize-Model. Ein Superfühlkraftheld mit einer normal sensiblen Frau, wie auch eine Stargeigerin mit einem Headbanger. Alles ist möglich. Die Mischung macht’s. Und die Liebe.

Petra Neumann

Autorin, Heilpraktikerin, Fremdsprachenkorrespondentin