Die Sache mit dem Bauchgefühl

Erschienen im Onlinemagazin Huffington Post

Die Sache mit dem Bauchgefühl

Auch ich bin jemand, der überaus gerne empfiehlt, „aufs Bauchgefühl“ zu hören. Gerade in Zeiten, in denen Erziehungsratgeber ganze Abteilungen von Buchhändlern füllen, es zu jeglicher Fragestellung in Sachen „Wie mach ich meinen Elternjob am besten“ Internetseiten, Foren, Gruppen und Fortbildungen gibt, könnte ich mir gut vorstellen, dass es nicht nur mir so ging, dass man bei so viel gebotenem Wissen plötzlich hilflos in dem Gefühl versinkt, am Ende rein gar nix mehr zu wissen.

Noch immer hebe ich an der Stelle gerne und auch durchaus überzeugt wieder das höchst eigene Bauchgefühl hervor – und vor nicht all zu langer Zeit tat ich dies auch am Ende eines Artikels, den ich schrieb.

Social Media informierte mich, dass mein Beitrag geteilt wurde. Neugierig schaute ich nach, und sah, dass dies durch eine Bloggerin (fruehlingskindermama.de) geschehen war, und sie den Artikel empfahl, jedoch mit der Bauchgefühl-Sache nicht konform ging. Sie selbst hatte wohl auch schon darüber gebloggt, wie ich schnell herausfand und ich las aufmerksam ihren Beitrag. Sehr schnell setzte die Selbstreflexion ein und ich begann mich zu erinnern, wie sehr mir dieser Aufruf zum bauchgefühlsbetonten Handeln in Elternfragen als Jungmama Druck gemacht hatte.

Es wurde mir klar, dass ich viel zu unbedarft mit der Mutterinstinkt-Fahne gewedelt hatte, ohne diese Thematik differenzierter zu betrachten, was man – wie sich herausstellte – absolut tun sollte. Dies ist jedoch nicht ganz einfach, wie ich finde, da ich hierfür eine Gefühlssache mit Verstand ergründen und erklären muss. 

Mein Resumé setze ich nun an dieser Stelle vor die detaillierten Ausführungen. Ich revidiere mein „Lass dich durch dein Bauchgefühl leiten.“ in ein „Handle nicht gegen dein Bauchgefühl.“ Klingt relativ gleich, ist jedoch ein großer Unterschied.

Was, wenn ich gar kein Bauchgefühl habe?

„Eine Mutter weiß, was das Kind braucht!“ „Warum weint das Baby denn ständig?“ Beides Sätze, die jeder frisch gebackenen Mama (oder natürlich auch den Vätern) sicher relativ bekannt vorkommen. Und wenn man sie nicht vom Umfeld hört, dann stellen sie einen Anspruch dar, den so manches Elternteil an sich selbst stellt, sobald der Sprössling geboren wurde. Eben, weil man das von je her so gehört und verinnerlicht hat. Beide Sätze implizieren, dass hier ein Bauchgefühl da sein MUSS. Ganz bestimmt ist es auch für unheimlich viele Menschen tatsächlich da. Jedoch lange nicht bei jedem. Und dies ist eine der Situationen, in denen eben jener Aufruf zum „Hören aufs Bauchgefühl“ mehr Schaden anrichten kann, als so mancher Autor (mich eingeschlossen) denkt.

Denn zum schreienden Baby kommt nun auch noch eine verunsicherte Mutter hinzu, die zum Einen gerade vielleicht trotz all erdenklicher Mutterliebe nicht weiß, womit sie ihr Kind zufriedenstellen kann und zum Anderen nun noch tiefer in ein Gefühl der Hilflosigkeit kommt, da sie denkt, sie wäre keine gute Mutter, mangels mütterlichem Bauchgefühlsratgeber. 

Wie der Name schon sagt: Bauch“gefühl“ ist ein Gefühl – und Gefühle kann man nicht erzwingen. Und je tiefer man danach kramt, desto schwieriger wird es wohl, es zu finden. 

Was, wenn ich ein falsches Bauchgefühl habe?

Es mag extrem klingen, doch es ist der Vollständigkeit geschuldet, dass auch ein solches Thema beleuchtet wird: Destruktive Energien. Sollte aus einer Hilflosigkeit, Überforderung oder verankerten Kindheitsstrukturen das Bauchgefühl „Ich muss dieses Kind jetzt schütteln/schlagen/… damit es ruhig ist“ entstehen, so steht es völlig außer Frage, dass es sich um keines handelt, dem man nur im Geringsten folgen sollte. Sicherlich denken sich hier die meisten Leser, dass dies ja sonnenklar ist. Die Wirklichkeit lehrt uns jedoch, dass diese Problematik leider noch Bestand hat – und da kein Autor kontrollieren kann, wer seine Texte liest, möchte ich mit meinen Aufrufen zu „Bauchgefühl“ keine falschen Strukturen bestärken, weil ich diese unerwähnt lasse. Die meisten Sorgen um ein vermeintlich falsches Bauchgefühl kommen jedoch von selbstreflektierenden, liebevollen Eltern, die hohe Ansprüche an sich selbst haben. Daher könnte man an dieser Stelle feststellen: Solange ein Bauchgefühl niemandem (auch mir selbst nicht) schadet, kann es so falsch nicht sein. 

Eltern und Kinder wachsen miteinander und aneinander. Und das Gleiche geschieht mit den elterlichen kognitiven Ansichten, Einstellungen und Bauchgefühlen. Geprägt durch eigene Erfahrungen, angelerntes Wissen, religiösen Einstellungen und äußeren Umständen variiert der innerliche „Berater“ zum Teil von Tag zu Tag, von Kind zu Kind, selbst von Situation zu Situation. Das macht es auch so unkalkulierbar und lässt es schwer in ein Schema fassen, dass verunsicherten Menschen das Gefühl von Verlässlichkeit bietet.

Was ist überhaupt das Bauchgefühl und was ist es nicht?

Es ist ein Teil unseres Wesens, das wächst und sich verändert. Es fiel nicht vom Himmel und war plötzlich da. Und auch, wenn es widersprüchlich klingt, so haben wir durchaus auch einen Einfluss darauf, können es mit formen. Durch Offenheit. Jeder Austausch, jedes Befassen mit Themen, Ansichten und Mustern prägt auch langsam aber stetig das Bauchgefühl. Wichtig jedoch ist es, den Begriff nicht fehlzuinterpretieren und als Ausrede zu mißbrauchen, um passiv schädliche und über Generationen unreflektiert weitergegebene Strukturen weiterzunähren. 

Das Bauchgefühl ist ein Teil des inneren Systems. Aber eben nur ein Teil. Mal ist es klug, es durch den Verstand etwas in die Bahnen weisen zu lassen, mal sollte es oberste Priorität haben und eben den Kopf in den Hintergrund rücken. In manchem Zeiten ist es der beste Berater, dann wiederum bringt es uns in Situationen, die wir vielleicht lieber anders angegangen wären. 

Eines jedoch ist das Bauchgefühl unumstritten: Eine hervorragende Alarmanlage. Wenn sich alles in einem selbst sträubt, die Glocken im Bauch laut schrillen, dann dürfen und sollen alle sachlichen Faktoren unbedingt auf einen Bauchgefühlsprüfstand gestellt werden. Und dies ausdrücklich in Hinblick auf das eigene Geschehen, als auch wenn es um das Kind geht. Denn selbst wenn dies in dem Moment als übertrieben, unnötig oder unverständlich erscheint – so ist es in genau dieser Situation so gut wie immer goldrichtig.