Interviews Sascha & Petra Neumann

In Ihrer Interview-Reihe mit Eltern hochsensibler Kinder durften auch mein Mann und ich bei Jil Haberstig (Blog: Von Herzen und Bund) zu Wort kommen:

 

Interview mit Petra:

Seit wann weißt du von der Hochsensibilität deines Kindes? Was hat darauf hingedeutet?

Im Nachhinein betrachtet, hat sich das schon in der Schwangerschaft mit meinem Großen abgezeichnet. Nur wusste ich damals noch nichts von „Hochsensibilität“ – auf den Begriff selbst stieß ich erst viel später. Ich erinnere mich aber sehr gut daran, wie extrem mein Sohn schon in meinem Bauch auf Geräusche und Empfindungen reagiert hat. Eine Situation fällt mir da gleich ein: Ich war ca. im siebten oder achten Monat schwanger, als mein Mann und mein Vater Laminatboden im künftigen Kinderzimmer verlegten. Ich musste tatsächlich den Raum verlassen, weil der Bub in meinem Bauch bei jedem Hammer-an-Laminatkante-Klopfen total erschrak und zusammenzuckte. Zu einem anderen Zeitpunkt hatte ich einigen Ärger. Und prompt entwickelte der ungeborene Junge eine Leidenschaft fürs Pogo-Tanzen. Bei meiner Tochter war ich schon sensibilisierter (wie gut dieses Wort doch jetzt hier passt) und bin dann auch offener damit umgegangen. Sie hat hier ganz klar den Vorteil als Zweitgeborene, da ich – gänzlich ohne bösen Willen – bei ihrem Bruder manchmal noch etwas damit haderte.

Wie macht sich die Hochsensibilität im Alltag bemerkbar? Was läuft dadurch vielleicht anders?

Diese Frage zu beantworten fällt mir nicht ganz leicht. Ich habe keinen Vergleich zu einem nicht-hochsensiblen Alltag. Bei uns wird viel geredet, viel vorbereitet. Wir haben ganz eigene Rituale an denen die Kinder hängen, obwohl sie eigentlich schon gar nicht mehr altersgemäß wären. Einige Themen sind für uns einfach größer, als sie für andere Familien in unserem Umfeld zu sein scheinen. Schullandheim, beispielsweise. Oder generell das Übernachten bei anderen. Auch die Sport-Hobby-Wahl war nicht ganz einfach. Ich habe oft das Gefühl, dass wir sehr „kompliziert gestrickt“ sind und viele Dinge, die für andere „einfach mal schnell so“ ablaufen für uns zu Großprojekten werden. Positiv betrachtet finde ich, dass wir als Vierer-Team einander sehr nah und verbunden sind. Ich genieße den Tiefgang unserer Gespräche und freue mich über die Phantasie und die Intensität der Gedanken unserer Kinder.

Bringt die Sensibilität deines Kindes dich im Alltag öfter mal an deine Grenzen? 

Ja, das tut sie. Vom ersten Tag meines Mutterseins an. In schwierigeren, konfliktreichen Zeiten wünsche ich mir für meine Kinder mehr Leichtigkeit. Wenn ich sehe, dass sie gehemmt sind, weil sie erst alles durchdenken müssen, statt einfach lachend durch ihre Kindheit zu tanzen, dann piekst es ordentlich im Mama-Herz. Oder wenn ich selbst im Stress bin, sei es innerlich wie auch zeitlich, und eines der Kinder dann aber nicht einfach schnell mitzieht, weil jetzt etwas „bearbeitet“ werden muss, dann komme ich an meine Grenzen. Emotional muss ich mir selbst immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass wir – egal wie stark die Verbindung ist – immer noch Individuen sind und eine Situation, die mir unerträglich erscheint, für mein Kind nicht automatisch auch so sein muss, und umgekehrt. Es kam schon vor, dass ich an dem Problem von einem meiner Kinder länger gekaut habe, als das Kind selbst. Zum Glück geschieht dies jedoch auch bei positiven Ereignissen.

Weiß dein Kind, dass es hochsensibel ist? 

Ja. Ich musste schließlich irgendwann antworten, als die Frage kam: „Warum ist das bei mir so, und bei anderen so anders?“ Wir nennen dies die Superfühlkraft. Mir ist aber von Anfang an wichtig gewesen, dass dieses Wort (egal ob nun Hochsensibilität oder Superfühlkraft) nicht lebensbestimmend im Raum steht. Wie bedauern uns nicht dafür, wir feiern uns nicht dafür. Dieser Wesenszug ist einfach ein Teil von uns. Ebenso wie unsere Haarfarbe, Schuhgröße, Eigenheiten und unsere anderen Talente und Schwächen.

Sprecht ihr mit Familie und Freunden über Hochsensibilität? Ist das ein Thema, das ihr mit anderen besprecht?

Nein, eher nicht. Seit mein Buch „Henry mit den Superkräften“ erschienen ist, werde ich natürlich in meinem Umfeld vermehrt darauf angesprochen. Doch selbst enge Freunde erfuhren erst davon, als es veröffentlicht wurde. Das hat jedoch nichts damit zu tun, dass ich die Hochsensibilität meiner Familie verleugne oder womöglich gar nicht dahinter stehe. Ich sehe jedoch nur für uns – im Privaten – keinen Grund über eine neurologische Veranlagung zu reden. Wenn, dann spreche ich über mein Kind (oder mich) als Person. Benenne die zu beredende Situation und erkläre, weshalb wir das nun vielleicht anders handhaben, als erwartet. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn der Trainer nun meint, dass mein Sohn nun aber bitte gleich auch mit zu Turnieren soll, dann erkläre ich ihm, dass dies gerade noch etwas zu früh ist, da sich mein Kind noch nicht bereit dazu fühlt und ihn generell Wettkampfsituationen noch verunsichern. Vermutlich wäre dem Verein und dem Kind geholfen, wenn er erst im neuen Halbjahr auf Turnieren spielt. Das Wort „Hochsensibilität“ fällt hier nicht.

Siehst du die Hochsensibilität als etwas Positives oder Negatives? Fluch oder Segen?

Wie schon weiter oben erwähnt: Wir nennen das für uns „Superfühlkraft“. Also betrachten wir die Hochsensibilität als etwas Positives. Dennoch kann und will ich nicht leugnen, dass ich sie auch schon das ein oder andere Mal verflucht habe. Wenn ich aber ganz ehrlich zu mir selbst bin, dann war das meist dann der Fall, wenn ich mich dagegen gewehrt habe, mich verbiegen wollte oder musste. Die Vorteile hochsensibel zu sein überwiegen meiner Meinung nach. Denn wir Superfühlkrafthelden sind ja nicht nur am Grübeln, Jammern, Schonen und Fürchten. Wir können uns auch von Freude, Liebe, Schönheit und Verständnis nahezu beflügeln lassen. Ich halte es für einen Segen, tiefe Bindungen aufbauen zu können und immer besser meiner Intuition zu trauen.

Oft ist ein Elternteil ebenfalls hochsensibel. Bist du oder dein*e Partner*in hochsensibel?

Ja, sind wir. Jeder auf eine ganz eigene Art und Weise. Darüber bin ich unendlich glücklich.

Was wünschst du dir für dein hochsensibles Kind? 

Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass jedes meiner Kinder sein eigenes Wesen leben und ausleben kann. Dass es mit dem Wissen aufwächst, wie wichtig und richtig es ist und dass es stolz auf sich sein darf. Ich wünsche mir, dass es im Leben immer wieder Menschen begegnet, die es „sehen“ und würdigen. Vermutlich wünscht sich das jede Mama für ihr Kind: Zufriedenheit, Liebe und Glück.

Vielen Dank, liebe Jil!

 

Auch Sascha, als Vater hochsensibler Kinder und Ehemann einer Superfühlkraftheldin kam zu Wort:

Seit wann weißt du von der Hochsensibilität deines Kindes? Was hat darauf hingedeutet?

Zum ersten Mal erfuhr ich dadurch, als meine Frau aufgewühlt von der Arbeit kam, mit Ausdrucken in der Hand und mir begann davon vorzulesen. Es war, als würde sie über unser Kind reden. Sie selbst meinte, dass sich die Hochsensibilität unseres Sohnes schon im Mutterleib abzeichnete. Doch mir, als Mann, war das nicht klar – woher sollte ich auch wissen, wie empfindlich so ein Baby im Bauch normalerweise ist oder nicht. 😉

Der Begriff erklärte vieles, als wir ihn dann hatten. Dass unser Junge eher vorsichtig als draufgängerisch ist merkte man schon als er ein Baby war.

Wie macht sich die Hochsensibilität im Alltag bemerkbar? Was läuft dadurch vielleicht anders?

Bemerkbar macht sich das oft. Gerade mir, als Vater, der sich (in unserer Familie) als am wenigsten hochsensibel einordnen würde, fiel das am Anfang oft schwer. Möchte man seinen Sohn doch auch für die Zukunft stärken und ihm einen Eindruck vom „Mann sein“ vermitteln. Allerdings war schnell klar, dass das klassische Bild vom „Mann“ heute so eigentlich gar nicht mehr existieren muss. Fußball spielen, am Bach Dämme bauen oder die höchsten Rutschen auf dem Spielplatz herunterschlittern… das war zwar meine Kindheit – aber das darf ich ja nicht von meinem Sohn verlangen. Er selbst weiß, was für ihn gut ist und das teilt er mir mit. Auch unbewusst – Blicke und Gesten verraten hier viel ;-).

Zwar wird auch heute ab und an mal der Fußball aus dem Keller geholt… aber wir schießen ein paar Elf-Meter auf´s Tor und kicken gemütlich hin und her – während sich auf dem Platz nebenan die Jungs schon fast um den Ball raufen und ihn dann ins Tor bolzen. Da geht es bei uns doch vieeeel ruhiger zu.

Was wir damals als spaßig und abenteuerlustig empfanden – macht einem hochsensiblen Jungen vielleicht gar keinen Spaß. Das anzunehmen war ein Stück weit ein Lernprozess für mich. Auch durch das Buch meiner Frau (Henry mit den Superkräften – oder warum in jedem Kind ein Held steckt) fand der Begriff noch viel mehr Einzug in unser Leben und man beschäftigte sich auf die unterschiedliche Art und Weise mit allen Facetten dieser „Superfühlkraft“. Das hat enorm viel geholfen.

Bringt die Sensibilität deines Kindes dich im Alltag öfter mal an deine Grenzen? 

Ehrlich gesagt: Manchmal schon. Das ist aber keineswegs böse gemeint, sondern zielt viel mehr auf die Unbesonnenheit der anderen ab (im direkten Vergleich). Unsere Zwei grübeln sich in den verschiedensten Situationen den Kopf heiß. Gedanken wie „soll ich“, „was passiert wenn“, „ist das gut für mich“ zehren doch oftmals an der Grundstimmung, wenn es um eine Entscheidung geht.

Während andere mehr den Draufgänger spielen und die Situation einfach ohne nachzudenken in Angriff nehmen – kann das bei uns schon einmal länger dauern und endet dann damit, dass man die Situation einfach nicht genutzt hat. Aber das ist ok – man muss sich nur darauf einstellen und es zulassen können. Das hat aber bei mir eine Zeit lang gedauert

Weiß dein Kind, dass es hochsensibel ist?

Ja. Wir sind  von Anfang an offen damit umgegangen. Das Kind merkt ja selbst, dass es in vielen Situationen anders als andere Kinder reagiert. Da kommen dann auch schnell Fragen auf wie „Warum traut der sich das und ich nicht?“

Man darf den Begriff nur nicht negativ darstellen. Es ist keine Krankheit – es ist eine Gabe. Es gibt hier nichts zu behandeln sondern man fühlt einfach mehr als andere. Das ist ein Bonus, den nicht viele Menschen (wissend) haben und auch einsetzen können.

Sprecht ihr mit Familie und Freunden über Hochsensibilität? Ist das ein Thema, das ihr mit anderen besprecht?

Also eigentlich eher nicht. Wenn man Themen wie Hochsensibilität anspricht, kann das dem Gegenüber (der vielleicht noch nie von HS gehört hat) schnell wie eine Rechtfertigung vorkommen. Ich selbst glaube, dass der Begriff an sich auch schnell überstrapaziert werden kann. Macht das Kind einmal nicht das was es soll oder hat es mal einen schlechten Tag und möchte sich einfach nur zurückziehen – kann dieses Wort hier sehr schnell fallen. Aber wirklich gerechtfertigt? Ist das Kind wirklich hochsensibel oder macht es gerade einfach nicht das, was die Eltern sich in diesem Moment wünschen? Der Begriff kann dazu verleiten, viele Sachen auf eben diese Sensibilität zu schieben.

Siehst du die Hochsensibilität als etwas Positives oder Negatives? Fluch oder Segen?

Na absolut positiv. Wer so viel fühlen kann, der ist doch ganz klar im Vorteil. Das einzig Negative  daran ist, dass man sich vielleicht öfters mal selbst im Weg steht in manchen Situationen.

ABER (und das sollte man nicht vergessen) – für das Kind ist dieser Ausgang der Situation ja völlig in Ordnung und dann so gewollt. Nur als Außenstehender denkt man dann vielleicht, dass hier etwas verpasst wurde, nur weil man selbst es so betrachtet. Dass es von dem Kind in diesem Moment aber gar nicht als vertane, vermeintliche Chance erlebt wird, wird da eventuell übersehen.

Oft ist ein Elternteil ebenfalls hochsensibel. Bist du oder dein*e Partner*in hochsensibel?

Also meine Frau ist es auf jeden Fall mehr als ich. Für mich selbst ist der Begriff immer präsent und ich fühle und nehme Dinge auch intensiver wahr, als andere Menschen. Vor allem, wenn es um meine Familie geht. Aber ich habe auch noch die rauere Seite an mir, welche mich in manchen Dingen dann wiederum abgrenzt zu meiner Frau. Jeder also auf seine Art und Weise – und das ist gut so 😉

Was wünschst du dir für dein hochsensibles Kind? 

Ich wünsche meinen beiden Kindern dass sie –  gerade durch diese Gabe der Superfühlkraft – ihr Leben so leben und gestalten werden, dass sie immer glücklich und stolz auf sich sind. Die Hochsensibilität birgt viele Vorteile. Diesen Umgang damit zu erlernen und zu beherrschen, und sich niemals deswegen „anders“ fühlen zu müssen. Aber da mache ich mir gar keine Sorgen, denn wenn ich meinen Kopf zur Seite drehe und meine zwei Kinder anschau‘, weiß ich, dass sie ihren Weg gehen werden und dass ich ein verdammt stolzer Papa bin und immer sein werde.

 

** Beide Interviews sind ursprünglich auf dem Blog vonherzenundbunt erschienen. Die Fragen wurden von Jil Haberstig entworfen. **


Zu den Büchern: Henry mit den Superkräften I Das Handbuch für SuperFÜHLkrafhelden